Die Wege im Jahre 2003

Feb 16, 2004

Was auf den Wegen geschah – 2003

Eröffnung des ersten Weges – aus der Feder von Marek Šálek 2003

Es gibt Orte, an denen ein Fußmarsch zu einer regelrechten Strapaze wird. Von der Straße zweigt ein ausgefahrener Weg ab, der nach zwei Minuten zu Fuß mit einer wilden Mülldeponie oder inmitten des Feldes abgelassener Gülle endet. Das niedergetrampelte Getreide führt den Ausflügler zu einem Hochsitz, die Hufspuren verschwinden irgendwo im Klee.

Die Grenzasphaltstraßen haben wiederum keine andere Logik als die militärische, der sie vierzig Jahre dienten. Sind vielleicht alle Wege und Pfade, die einst von irgendwoher irgenwohin führten, von Unkraut und Dickicht überwuchert?

Vor ein paar Tagen überzeugte ich mich davon, dass dies nicht ganz zutrifft. In Slavonice, einem Städtchen mit dreitausend Seelen im Dreiländereck von Österreich, Böhmen und Mähren, fand eine kleine Samstagsfeier statt. Zunächst fiel ein Laken von einer nagelneuen Informationstafel, anschließend flogen Champagnerkorken umher und vor der hiesigen Touristenherberge erschallte schüchterner Beifall. Nach einer kurzen Ansprache begaben sich zwei Dutzend Versammelte auf den Weg durch eine blühende Mailandschaft.

Die neue Verbindung von Slavonice nach Český Rudolec wurde von Enthusiasten aus mehreren Ortsvereinen entdeckt, kartografiert und abgesteckt. Den zwölf Kilometer langen Wanderweg benannten sie nach dem Räuber und Wegelagerer Johann Grasel, der hier vor zweihundert Jahren sein Unwesen trieb. Mit neuen Jahren hatte er seinen ersten Raubüberfall auf dem Kerbholz, als er sechzehn war, gaben die österreichisch-ungarischen Gerichte einen Steckbrief gegen ihn heraus, und als er achtundzwanzig war, erschienen zu seiner Hinrichtung hunderte Wiener Frauen. Man sagt, dass er in den umliegenden Wäldern häufig übernachtet haben soll.

Auf dem Graselweg zu wandern, ist eine wahre Freude. Der ausgetretene Pfad wurde jeglicher Brennnesseln entledigt und gut markiert.

Der Wald wird von Wiesen abgelöst, der Schatten von der Sonne, das Gras von Nadelgehölzen, Himbeer- und Heidelbeersträuchern. Die Waldquellen verwandeln sich in Bächlein, die Bäche in Fischteiche. Ein Marterl, Felsgebilde, eine Höhle, ein Hundefriedhof, ein einzigartiges, von Wasser getriebenes Sägewerk. Der Wanderer weiß zu jedem Zeitpunkt, wo er sich gerade befindet, wohin ihn seine Schritte lenken. Geradezu das Ideal des mitteleuropäischen Wanderns. Zum Schluss zwei Gasthäuser. Der inmitten des Böhmischen Kanada verbrachte Tag war nur von einem Umstand überschattet. Die Wandergruppe bestand aus den Organisatoren selbst sowie aus den Gästen von entfernteren Orten, während von den Ortsansässigen mehr oder weniger niemand kam.

Es bemühte sich nicht einmal ein Vertreter des Rathauses in Slavonice, das auch dreizehn Jahre nach dem Abriss des Stacheldrahtes im Besitz der Kommunisten bleibt. Die Bürgerinitiativen vermochten, zigtausend Kronen aus den Fonds der Europäischen Union zu erlangen, womit sie Geld zugunsten des Gemeindebudgets sparten. Unentgeltlich investierten sie ihre Arbeit und Zeit. Wem kann dies missfallen?

Ein Landstrich, von der Gunst des Schicksals abwechselnd heimgesucht und verlassen, als er ob in das österreichische und böhmische Landesinnere um Hilfe riefe: Kommt, schaut euch an, wie schön es hier ist! Schert euch nicht um die Wahlergebnisse und kommt unter den einstigen Eisernen Vorhang, um etwas Geld auszugeben. Auf dem Hauptplatz steht das Hotel mit Schwimmbad und Sauna, an der Rezeption können Sie sich ein Fahrrad ausleihen. Unter dem Turm gibt es ein behagliches Café mit netter Bedienung und vom Turm aus kann man den Blick bei schönem Wetter in die Ferne schweifen lassen. Mitunter bis nach Europa.

Marek Šálek

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